Ich verspürte gerade den Wunsch mein durchlebtes Elend genauer zu beschreiben.
Was mir erst so im Nachhinein bewusst wurde, war, dass mein gesamtes Nervensystem wohl über Monate dauerhaft in Alarmbereitschaft gewesen sein muss.
Ich hatte viele viele Nächte, in denen ich nicht schlafen konnte; beim ersten Klinikaufenthalt, beim zweiten das Gleiche und das lag nicht am Kind. Todmüde und hellwach zu gleich.
Was für mich mit das Schlimmste war, dass mich Kleinigkeiten fast zu Tode erschreckten. Beim ersten Klinikaufenthalt kam mein Mann überraschend zu Besuch und ich bekam sofort Panik.
Nach der Geburt war alles noch schlimmer. Ich störte mich an allem. Licht in Räumen war mir meist zu dunkel (wir wechselten in der Stube und Küche die Glühbirnen aus), tickende Uhren landeten auf dem Müll, ich hielt das nicht mehr aus. Hörte ich ein Flugzeug, fuhr mein Körper zusammen und dabei war das früher einmal mein Lieblingsgeräusch. Wechselte ich den Raum, knallte eine neue Wand aus zerstörerischen Gefühlen auf mich ein, es ist und bleibt unbeschreiblich.
Und, ich liebe Horrorfilme. Ging nicht mehr. Ich erinnere mich, als sei es gestern gewesen. Wir standen in der Videothek und ich erblickte dunkle Cover und ich bekam Panik und weinte.
Alles schien für mich eine Bedrohung zu sein. Hinter jede Ecke lauerte offenbar das Unheil. Es war grausam. Ich könnte heute noch weinen über das, was ich da durchstehen musste. Die Welt war kein sicherer Ort mehr. Nirgends Schutz.
Alleine sein war mir unmöglich, das erwähnte ich schon im ersten Beitrag. Ruhe im Raum war für mich ebenso nicht auszuhalten. Die erste Zeit, und das waren Wochen, lief daheim nur der Fernseher, damit ich irgendwie das Gefühl bekam, nicht alleine zu sein, damit da etwas da war, auf das ich mich am Rande konzentrieren konnte, etwas, was mir ein klitzekleines Gefühl von Normalität gab. Es war Wahnsinn. Monate später war es dann nur noch das Radio, da ich unser Kind schützen wollte.
Ich hielt den Atem an. Wochen, Monate. Die Zeit stand still. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass ich gar nicht mehr am Leben war, es war so lange nur ein Überleben, ein dahinvegetieren. Mehr war es wirklich nicht.
Ich erkannte mein Leben nicht mehr und mit ihm, nicht mehr mich. Alles, was ich einmal so sehr liebte und geschätzt hatte, ward mir genommen. Meine Liebsten, denen ich gegenüber nichts mehr empfand, und auch alles andere. Bei einem schönen Sonnenuntergang wusste ich zwar, dass mir das eigentlich gefiel, aber ich empfand nichts. Ich war so leer, innerlich so tot.
Die Fremde im eigenen Haus, so fühlte ich mich. Ich wusste ganz genau, das ist mein Zuhause, das sind meine geliebten Hunde und Katzen; das ist das Bett, in das ich mich eigentlich so gern kuschle… nichts. Kein Bezug mehr zu den Dingen, die ich kannte. Alles lief wie ein Film an mir vorbei. Ich hatte das Gefühl, ich agierte mit nichts mehr um mich herum, ich war wie abgenabelt. Getrennt von allem.
Das war für mich die krasseste Erfahrung meines bisherigen Lebens. Denn wenn man nichts mehr hat, an was man sich erfreuen kann, was einem Schutz bietet, was man liebt, was hat man dann noch?
Ich musste einiges scheinbar erst wieder lernen bzw. ergab sich vieles mit der Zeit. Aber es war so unglaublich wie es sich liest. Und ich begreife es heute noch nicht.
Es trifft mich immer noch, wenn ich darüber schreibe: Ich bin entsetzt, zu was die Psyche und der Körper überhaupt möglich sind.
Unbegreiflich.
Euer Kopfflüstern
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