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Als nichts mehr ging ODER Mein Weg in die Hölle und zurück

von | 7. April 2019 20:51 | 0 Kommentare

zuletzt aktualisiert am 19. April 2025 16:34

Eine generalisierte Angststörung kann, tut mir leid, kacke sein (woher und wieso und weshalb später). Ich mache sehr oft Gedanken über alles mögliche. Kann auch gut sein, da ich so auch viel hinterfrage und zu neuen Erkenntnissen gelange. Alles hat zwei, nein wie ich nun lernen durfte, drei Seiten; die positive, die negative und die Objektivität. Ich versuche Meister in Letzterem zu werden.

Jedenfalls ist das ganze Denken und Absichern Mist, wenn es sich um destruktive Gedanken handelt. Was soll das alles werden, was wird dann aus der Arbeit, was ist, wenn dieses oder sogar jenes passiert. Die Leser, die sich angesprochen fühlen, kennen das sicher nur zu gut. Und manchmal ist es für mich schwer, da auszusteigen.

Alles nahm seinen Anfang irgendwann nach der Mitte der Schwangerschaft. Davor hatte ich 90 Absagen kassiert, also keine feste Arbeitsstelle, kaum Berufserfahrung… ein Teil von mir, würde es ja auf Null runterspielen, aber den lassen wir jetzt mal nicht zu Wort kommen. 

Also stand ich da eines Tages und dachte mir so OMG! Was soll das mit Kind werden, wie wird das finanziell, was wird mit der Arbeit, mit Berufserfahrung, wie soll ich mit Kind eine Arbeit finden…. blablabla ich kann es selbst nicht mehr hören. Das praktizierte ich dann einige Zeit, bis ich selber die Nase voll hatte und zu der glorreichen Idee gelangte, einfach loszulassen. Drauf gesch…. es kommt wie es kommt und es wird gehen. Alles schick…

Pustekuchen. Drei Wochen später, Eisladen, Panikattacke. Diese unbestimmte Angst, die in mir aufstieg, kannte ich. Wir waren uns vor Jahren schon einmal begegnet. Keine Ahnung, was ich gedacht hab. Am Abend jedenfalls war ich nur noch am schreien und weinen und hatte Angst, dass es so wie vor Jahren wird. Und, wie ist das mit dem rosa Elefanten? Ich begreife zwar bis heute nicht, warum ein Elefant und warum auch noch rosa, aber ihr wisst, was ich meine. Ich verstärke das, auf was ich mich konzentriere.
Die Zeit, die verging, bis auch meine Familie mich nicht mehr halten konnte, habe ich vergessen, verdrängt. Ich brauche Hilfe, war mein einziger Gedanke und zwar schnell. Einige Telefonate führten mich recht schnell zur Psychiatrie. Hilfe gegenüber war ich schon immer aufgeschlossen. Aber selbst wenn ich mich mit Therapie etc. nicht ausgekannt hätte, wäre mir das auch egal gewesen. Mir ging es so schlecht, dass mir so ziemlich alles recht war.

Nach einem Tag Tagesklinik ging ich freiwillig für insgesamt vier Wochen in die Klinik. Hoffnung setzte ich in Medikamente. Gott, wie naiv war ich. Aber mit ein paar kleinen Übungen ging es nach den vier Wochen wieder einigermaßen und ich ging heim. Leider nicht sehr stabil und schwupps war ich wieder auf dem Weg nach unten. Und plötzlich taten sich mir Welten auf, von denen ich nie geglaubt hätte, dass sie möglich wären.

Plötzlich war da ein Kind. Nein, nicht mein eigenes, sondern ich, mit über 30 Jahren. Die Welt fühlte sich an, als wäre sie kein sicherer Ort mehr, als wäre alle Freude weg, einfach so. Ich fühlte mich wie ein kleines Kind, irgendwo ausgesetzt, mutterseelenallein. Es ist nicht zu beschreiben. Keine Minute war ich ab da mehr allein. Meine Eltern schliefen oft bei uns. Ich hatte ein unstillbares Bedürfnis sie bei mir zu haben.

Mit der Geburt unseres Kindes wurde es nicht besser. Im Gegenteil. Dieses Gefühl, selbst ein schutzloses Kind zu sein, war nun nicht nur ständig vorhanden, sondern es kam nun in, ich nenne es mal Attacken, die mich anfangs alle zwei Tage heimsuchten. Diese existenziellen Gefühle brachen so über mich herein, wie die Horrorwelt in Silent Hill, wenn die Sirene ertönt. Plötzlich war ich in einer anderen Welt. Ich schrie, ich weinte, ich wollte nicht mehr leben, da es sich anfühlte, als würde es nie enden. Danach war ich so depressiv, dass ich Hilfe beim Essen brauchte. Die Angst, dass es mir meinen Verstand rauben würde, war mein ständiger Begleiter.

Nach zwei Monaten hielt ich das Elend der Klinik nicht mehr aus. Wobei ich mir hin und wieder wünschte, völlig gaga zu sein; ich nahm an, dass man dann nicht mehr viel mitbekäme. War bei mir leider nicht Fall. Auch Zuhause traf mich das so sehr, dass ich keinen klaren Gedanken fassen konnte. Ich war wie ein angeschossenes Reh auf der Flucht. Nur weg, Hauptsache irgendwie in Sicherheit gelangen. Zwei Monate lang blieb keine Sekunde alleine. Ich bekam sofort Panik, wenn meine Begleitperson den Raum verließ, wenn unser Kind nur einen Glucks machte. Letzten Endes war es auch die neue Situation als Mutter, die dazu beitrug, aber das war nicht alles.

Glücklicherweise fand ich recht schnell eine ambulante Therapie. Heute weiß ich, alte Schule und viele Wege führen nach Rom, aber sie war der Meinung, ich solle das Kind abgeben und alleine bleiben, da kann ich dann schreien und mit dem Kopf gegen die Wand, aber ich muss das machen. Das war ja noch Wochen lang, Monate lang, mein Problem, das Alleinsein. Nach dieser Stunde hätte ich mich am liebsten vor den Zug geworfen. Lieber tot als mich dieser Angst auszusetzen. Ich tat es auch nicht. Ich tat es Stück für Stück, so wie ich mich dem gewachsen fühlte. Darüber könnte ich auch noch Stunden schreiben, denn sich der Angst einfach zu stellen, bewirkt auch keine Wunder und kann auch ganz gehörig nach hinten losgehen.

So detailreich kann ich gar nicht schreiben. Stück für Stück arbeitete ich mich vorwärts. Es war hart, sehr hart, aber offensichtlich machbar. Der größte Dank gilt dabei meinem Mann, meinen Eltern und auch unserem Kind.

Lange dachte ich, ich schaffe es nicht mehr lebend raus. Sooft wollte ich lieber sterben, als das weiter erleiden zu müssen. Zu oft wollte ich mein eigenes Kind nicht mehr. Aber vielleicht war sie es auch, die mich in den dunkelsten Stunden, wenn meine Familie nicht da war, weiter machen ließ. Erstaunlicherweise ging sie für mich immer vor. Egal wie tief unten ich war, mein Blick war ihr gegenüber nie getrübt. Stets konnte ich mich um sie kümmern. Nun habe ich offensichtlich zwei Engel an meiner Seite.

So richtig weiß ich gar nicht, warum ich das schreibe. Aber mit jedem Mal fließen weniger Tränen. Und ich weiß, dass ich mit sowas nicht alleine bin. Genügend Menschen habe ich getroffen, die ihre persönliche Hölle auf Erden fanden und erlebten und dies immer noch tun. Und ich denke, wenn mehr Menschen, sich reflektieren würden, ihre Vergangenheit aufarbeiten und ehrlich zu sich sein würden, dann würden die Kliniken nicht mehr ausreichen. Tun sie ja so zum Teil schon nicht mehr.

Allen, die sich irgendwie, warum auch immer, angesprochen fühlen, don´t give up, gebt nicht auf. Auch die Hölle ist nicht das Ende dieser Welt. Seid ehrlich zu euch selbst, sucht Euch Hilfe, denn ihr seid es wert.

Euer Kopfflüstern

 

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