Seite wählen

Hannah lässt grüßen

von | 11. Juni 2019 00:52 | 0 Kommentare

zuletzt aktualisiert am 11. Juni 2019 00:52

Bis wir Teil der Netflixcommunity worden, stand unser Fernseher immer still. Wenige Ausnahmen, ein Film auf DVD. Seit Netflix verbringe ich dann doch mal den ein oder anderen Abend, bei Zahnschmerzen auch ganze Nächte, mit dem Suchten von Serien. Mein Mann erzählte mir vor geraumer Zeit von Hannah… tote Mädchen lügen nicht. Vor drei Tagen (?) beschloss ich mir das genauer anzusehen. Und da ich selber Opfer von Mobbing war… 

Vielleicht sollte ich auch Kassetten anfertigen und denen, die mich als ihr Opfer auserkoren hatten, mitteilen, wie sehr sie mir weh taten? Der Gedanke reizt mich. Aber ich wage zu bezweifel, dass der Horizont bei manchen ausreicht, um alles zu erfassen. Tut mir leid, klingt hart. Aber aus eigener Erfahrung weiß ich, wie viel Größe und Mut es zur Selbstreflexion braucht. 
Ich hätte nicht gedacht, dass mich dieses Thema irgendwann mal wieder ereilt. Ja, ich glaubte sogar, irgendeinen Abschluss damit gefunden zu haben. Verziehen habe ich nie, und werde ich sicher auch nie. Aber der Gedanke, dass ich hätte etwas tun können, gab mir etwas Frieden. Denn ich tat damals nichts. Ich ließ alles seelenruhig über mich ergehen. Zog mich immer mehr zurück, veränderte, so wie sich mein Inneres änderte, auch mein Äußeres. Schwarz dominierte. Mein Leben war ab einem gewissen Punkt von Angst und Rückzug geprägt. Eine soziale Phobie ward geboren. Vielen Dank! In der zehnten Klasse traten das erste Mal Suizidgedanken auf.

Ich gab bis vor drei Jahren, circa, allen anderen die Schuld. Bis ich eben sah, was mein Anteil daran war. Soweit so gut. Aber was hätte ich wirklich ändern können? Wäre ich so gestrickt gewesen, dass ich mich hätte wehren können, hätte ich es dann nicht getan? 
Von einem Vertrauenslehrer wusste ich nichts. Die Situation in meiner Familie war zu dem Zeitpunkt schon so, dass ich niemanden belasten wollte, also schwieg ich auch da.

Ich litt, und das viele Jahre. Und es endete nicht mit dem Abitur, nein! Es ging weiter. Immer wieder stolperte ich über diese soziale Phobie, die mein Leben so sehr einschränkte. Ich hatte Angst vor Menschen. Wegen Euch!

Kassetten. Wie die wohl aussehen würden? Nach all den Jahren sind nur noch Bruchstücke da, aber die reichen mir auch. Schützt mich da wieder nur mein Gehirn? Allerdings kann ich mich genau an den Tag erinnern, als ich das Klassenzimmer betrat und E. den Inhalt meines gesamten Schulranzens im Zimmer verteilt hatte. Und A., mit der ich noch Kontakt hatte, die für mich, die Vernünftigste von allen zu sein schien, die selber wusste, wie es war als Streber angesehen zu werden… Du standest einfach nur da. 
Ich weiß heute noch, wie es war, neben Al. zu sitzen, hinter F., die sich in meiner Gegenwart das Maul über mich zerrissen, lachten, mich auslachten, schlechte Witze machten.
Genauso kann ich mich noch daran erinner, wie cool es wohl Ar. fand, mich vor der ganzen Klasse bloßzustellen, in GK, als der Lehrer den Raum verließ und absichtlich den kommenden Test liegen lies, und sie meinte, dass ich wohl nicht drauf schauen würde und alle lachten. 
Etc. pp

Der Weg der Vergebung geht über alle anderen Gefühle, auch über Hass. Und ich wünsche Euch dafür die Pest an den Hals! Wie wäre es, wenn ihr das fühlen würdet, was ich damals fühlte? Den Schmerz, die Scham, die Angst wieder in die Schule zu gehen, Angst vor neuen Attacken. Das Gefühl, ein nichts zu sein, unbedeutend, überflüssig, störend, mangelhaft. Wie wäre es, diese Isolation, die dauernd an meinem Selbstwert nagte, nachzuempfinden. Meine verzweifelten Versuche doch irgendwie Teil einer Gemeinschaft zu werden, zu durchleben? 
Wäre das Genugtuung? Würde mir das Frieden bringen? Wohl kaum. Auch wenn es vielleicht einen gewissen Teil befriedigen würde. Stattdessen wünsche ich mir, dass ich es irgendwann hinbekomme, diese alten Wunden heilen zu lassen. Und ich würde mir eine Entschuldigung wünschen, die von Herzen kommt. 
Aber da ich nie ein Wort von mir gab, und ihr offensichtlich nie selbst über Euch und eure Taten nachgedacht habt, wisst ihr sicher gar nicht, was iir verbrochen habt. 

Ich hatte wohl mehr Glück als Hannah. Ich lebe noch. Ich habe es irgendwie geschafft, diesen Wahnsinn zu entfliehen und alles in den letzten Windungen meines Gehirnes zu vergraben und zu verstecken, vor mir selbst. Ich habe diese Nancy immer mehr in Watte gepackt und sich zurückziehen lassen, damit ihr ihr nicht noch mehr antun könnt. Das war wohl meine Überlebensstrategie. 

Kein Kontakt mehr. Zu niemanden. Bis auf einen kürzlichen „Ausrutscher“, aber auf die Anfrage, ob man sich nicht mal trifft, bin ich nicht eingegangen. Obwohl ich allerdings kurz überlegt hatte. 
Keine Klassentreffen. Abizeitung und Tshirt sind schon lange verbrannt. Was ich irgendwann mal noch finde, wird wohl auch im Feuer enden. 

Ich seh das ganze heute mit mehr Abstand. Mein Herz zerspringt nicht mehr in tausend Teile, wenn ich an diese Zeit denke. Sie hätte so schön werden können und ihr habt mir sie genommen. Und ich habe es zugelassen. 

Mobbing. Psychische Gewalt an seines gleichen. Ich frage mich bis heute, was Euch dazu getrieben hat. Eure Erziehung/Elternhaus? Gemeinschaftssinn? Langweile? Mangelndes Selbstwertgefühl? Auf jeden Fall der Mangel an Empathie, sonst hättet ihr gewusst, wie ich mich gefühlt habe. 

Es tut mir leid. Ich denke nicht, dass ich Euch jemals verzeihen werde. Aber vielleicht kann ich wenigsten irgendwann mir verzeihen. Dass ich das mit mir habe machen lassen.

Euer Kopfflüstern

0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert