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DR und DP

von | 8. April 2019 07:52 | 0 Kommentare

zuletzt aktualisiert am 19. April 2025 16:34

Bademantel und ein viel zu starker Kaffee und los geht es. Ich bin seit sechs wach. Für arbeitstätige Menschen sicher eine ganz normale Zeit, viele von uns stehen noch früher auf. Manche werden auch durch eigene Kinder so zeitig geweckt. Bei mir sind es offensichtlich schon wieder einmal ganz andere Gründe.

Nachdem ich aufgewacht war, prasselten Texte über mich herein. Das hatte ich schon so lange nicht mehr. Vor Jahren als ich eine gefühlte Unendlichkeit manisch-depressiv war oder welchen Stempel man dieser Phase von immerhin fast zehn Jahren auch geben würde, schrieb ich Gedichte mit vier Strophen in unter einer Minute. Zettel und Stift begleiteten mich stets auf all meinen Wegen. Aber darüber wollte ich noch gar nicht schreiben.

Jedenfalls ploppte oben genanntes Thema plötzlich wieder auf. Und da es mich in der Klinik damals so unglaublich glücklich machte, zu wissen, was mich quälte, dachte ich mir, ich möchte jetzt darüber schreiben. Wow, total verschachtelter Satz, finde ich unmöglich sowas, lass ich trotzdem stehen.

DR steht für Derealisation und DP für Depersonalisation. Was ich absolut nicht leiden kann, wenn Ärzte, und das machen sie leider zu oft, über einen Patienten reden und statt mit ihm. So erfuhr ich nur durch Zufall am Rande etwas von Entfremdung und fragte Dr. Google um Rat und stieß auf DR/DP.

Wissenschaftliche Texte möchte ich hier nur ungern wiedergeben, also schreibe ich nur das nieder, was mir noch dazu einfällt. Den Rest kann jeder gern selber nachlesen.

Der wichtigste Punkt für mich war, ich werde nicht verrückt. Es handelt sich um einen ganz normalen Schutzmechanismus des Körpers, den jeder Mensch im Grunde kennt. Der für Sekunden oder Minuten anhält… bei einer Prüfung, einem Unfall… und dann wieder vergeht, da der Körper sozusagen wieder in den Normalmodus umschaltet. Das heißt, DR und DP sind im Grunde völlig normale Zustände. Wenn sie Wochen und Monate anhalten, können sie unangenehm werden, wobei das für mich noch sehr gelinde ausgedrückt ist.

Ich weiß noch genau, ich lag mit meinem Mann auf dem Bett, stillte das Kind und plötzlich hatte ich das Gefühl, mein Mann liege kilometerweit von mir entfernt, unerreichbar. Schwups, Panik. So ging das öfter.

Man empfindet Dinge als weiter weg als sie eigentlich sind, oder als größer oder kleiner. Man kann das Gefühl haben, nicht mehr selbst zu agieren bis hin dazu, dass man sich aus der Vogelperspektive sieht. Ich denke an dieser Stelle gar nicht weiter drüber nach. Steckt man selber drin, ist es total abgefuckt. Bei der DR nimmt man seine Umgebung quasi plötzlich anderes war, bei der DP betrifft es einen selbst. Bei mir war die DR vordergründig. Plötzlich war mir meine Welt, die ich bisher kannte, nicht mehr vertraut. Alles fühlte sich abnorm an.

Die Anfangszeit war hart. Neben solchen Szenarien quälte mich noch etwas ganz anderes. Emotionslosigkeit. Wobei, das ist nicht ganz richtig. Angst und Panik war drin, das ging, in allen Facetten.Tränen auch, unendlich viele. Dabei empfand ich aber nie Traurigkeit wie ich sie kannte. Außer Hoffnungslosigkeit und dem Wunsch, dass alles endet, war da nichts.

Sah ich meinen Mann an – nichts. Sah ich unser Kind an – nichts. Das Gleiche bei meinen Eltern. Mein Verstand war mein einziger Begleiter und selbst dem, mochte ich zeitweise nicht mehr richtig trauen. Ich wusste, dass ich die engsten Menschen um mich herum liebe, aber ich spürte es nicht mehr. Ich war ihnen nicht mehr nahe. Verzweiflung machte sich breit.

Sehr schnell musste ich lernen, die Dinge, dieses ganzes Desaster, erst einmal zu akzeptieren. Und so unterwarf ich mich auch diesem Punkt. Nach ein paar Wochen konnte ich wenigstens darüber ein klein wenig traurig sein, dass ich dieses wohlvertraute Gefühl, wenn ich meine Eltern oder meinen Mann sah, nicht mehr spüren durfte.

Es gibt ein Buch, „das kaputte Ich“. Leider fiel es mir viel zu spät in die Hände, dennoch half es mir sehr. Betroffenen kann ich dieses nur empfehlen. Und nein, das ist keine Werbung. Mir hat damals jeder Strohhalm geholfen. Vielleicht hilf es auch anderen.

So, der Kaffee ist inzwischen trinkbar, aber der Löffel kann drin stehen…. und ich hätte anfangs nicht gedacht, dass ich jemals darüber schreiben werde. Es gibt übrigens einen Youtuber namens Zwangsneurotiker, der sehr intensiv über das Thema berichtet. Ich hoffe, dass es okay ist, wenn ich ihn hier nenne. An dieser Stelle vielen vielen Dank. Sehr zu empfehlen. Macht euch kundig und erlangt die Gewissheit, dass ihr nicht alleine seid!

Jedenfalls ist in diesem Buch recht genau beschrieben, wie es sich verhält. Die Emotionslosigkeit, dann die Angst und Panik. Ich hatte also eine bilderbuchmäßige DR, die DP habe ich nur gestreift. Aber darüber war ich kein bisschen traurig.

Ich kann mich nicht mehr entsinnen nach wie vielen Monaten ich wieder ein Gefühl von Liebe wiedererlangte. Es waren viele Monate, die vergingen. Viele Monate, in denen ich nichts außer Angst und Panik empfand. Lange Zeit konnte ich mich auch nicht mehr erinnern, sprich meine Erinnerung ist heute noch nicht wieder ganz okay, lückenhaft, in falscher Reihenfolge. Es war einfach alles weg und ich erlebte alles zusammenhangslos. Verließ ich das Haus in dem ich gerade noch Ergotherapie hatte, war plötzlich alles weg. Ich wusste, dass ich gerade da war, aber ich hatte dafür kein Gefühl. Als wäre ich nie da gewesen.

Jaaaa, ich bin gerade völlig klar im Kopf 😀 Im Grunde war ich das eigentlich immer. Stets wusste ich, wer ich bin oder wo ich war. Das machte es für mich wahrscheinlich auch so unerträglich.

Wenn man sich im Internet durcharbeitet, bekommt man schnell mit, dass ein Jahr mit DR oder DP nichts zu sein scheint. Ich hatte also Glück? Teils ja, teils nein. Ich denke, es ist wie bei jedem (psychischen) Problem. Mit dem geeigneten Background kommt man schnell wieder raus. Sprich sozialer Halt, egal ob Freunde oder Familie. Jemand, der Dich auffängt, der Dir das Gefühl gibt, es ist okay, wir kriegen das gemeinsam wieder hin, ich bin für Dich da, Du musst das alles nicht alleine durchstehen.

Ein wenig Therapieerfahrung kann auch nicht schaden und ganz wichtig, Hoffnung, nicht aufgeben, Vertrauen, in was auch immer. Ich denke, bei jedem ist das anders gewichtet. Leute, die immer alleine waren, finden Ihre Zuflucht vielleicht eher in der Hoffnung, im Glauben. Meine Rettung war meine Familie. Ich wollte mein Kind aufwachsen sehen, ich wollte meinen Mann wieder spüren können. Das hielt mich buchstäblich irgendwie davon ab, aufzugeben. Nicht dass ich jemals genaue Pläne gehabt hätte, meinem Leben ein Ende zu bereiten. Aber der Wunsch, dass plötzlich aus irgendwelchen Gründen alles vorbei, war lange mein Begleiter.

Jetzt merke ich gerade, wie sehr doch die einzelnen Themen der jetzigen und kommenden Beiträge verschwimmen. 

Okay, fürs Erste reicht das. Ich werde versuchen, etwas geordnet zu schreiben, sprich in Themen. Aber das scheint leicht gesagt. Einige Themen werden sicher wieder auftauchen, ich verlinke dann einfach kreuz und quer 😉

Bei Fragen oder Anregungen könnt ihr gern kommentieren. Oder ihr nutzt das Kontaktformular. Ich gebe meine Erfahrungen und Tipps gern weiter, nicht jeder muss das Rad neu erfinden.

Haltet die Ohren steif!

Euer Kopfflüstern

 

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