Wenn ich so durch die Gruppen und über die Seiten bei Facebook streife, erfreut es mich, zu sehen, dass immer mehr Menschen weg von der Erziehung hin zu einer Beziehung wollen. Und mich gruselt der Gedanke, mein Kind erziehen zu wollen. Mein Kind zu einem Menschen zu formen, der mir so vorschwebt. Oo Ist das nicht anmaßend? Zu denken, dass ich darüber entscheide, wie ein anderer Mensch zu sein hat und ihn dann noch so zu beeinflussen, dass er tatsächlich so wird?
Leider gehöre ich zu einer Generation, in der wohl einige Menschen nicht so viel Glück hatten. Ich bin Baujahr 1985 und ich denke, dass man damals sehr genau zu wissen glaubte, wie ein Kind zu sein hatte; was richtig war und was falsch; was sich gehörte und was eben nicht.
Ich stolpere immer wieder über das Thema. Gerade eben bekam meine Mutter ein Bild ihres Enkels, welcher mit dem Gartenschlauch spielte. Ihr Kommentar dazu, dass Enkel solle doch lieber die Blumen gießen. Nun kann man sich über so eine Bemerkung wahrscheinlich streiten, aber ich habe mittlerweile sehr feine Antennen und mir schoss sofort eines in den Kopf; Selbstwert.
Seit der 5. Klasse schleppe ich massive Selbstzweifel etc mit mir rum und dieser Kommentar zusammen mit dem Buch, das ich gerade lese (Jesper Juul, „Grenzen, Nähe, Respekt“), führte mich zu der Überlegung, ob meine Probleme nicht erzieherischer Natur sind. Und einige Vorfälle in der letzten Zeit, die ich analysierte.
Mir ist nämlich aufgefallen, dass immer, wenn meine Eltern uns besuchen, dass gleiche abläuft… warum hast Du die Wäsche nicht abgenommen, warum steht da noch Abwasch… Abgesehen davon, dass meine Ma offensichtlich noch nicht mitbekommen hat, dass ich erwachsen bin, was ja irgendwie auch stimmt, ka, es ist kompliziert… sieht meine Ma immer nur dass, was noch nicht erledigt ist. Aber das, was ich bereits erledigt habe, wird übersehen.
Aufgrund meiner Therapieerfahrung und dem, was ich alles schon las, ergeben sich für mich mehrere Punkte:
Das, was ich abliefere, reicht nicht. Außerdem bin ich nie genug. Also ich bin irgendwie zu nichts nütze, weniger wert als andere, irgendwas stimmt nicht mit mir… Bisher nahm ich an, dass mir nur mein Pa mir Perfektionismus vorlebte, aber offensichtlich hat auch dieser mehrere Quellen.
Tja, und nun sitz ich hier wieder etwas geknickt.
Meine Therapeutin fällt mir gerade wieder ein. Sie lächelte als ich ihr sagte, meine Kindheit wäre schön gewesen. Sie teilte mir mit, dass ich wohl vieles verdrängt hätte, weil es zu schmerzvoll war. Das Ausmaß wird mir mit jedem Vorkommnis und jedem Buch, welches ich lese, immer bewusster. Was meine Begleitung/Erziehung als Kind angeht, entpuppt sich das immer mehr als Fehltritt. Puh. Was für ein Desaster.
Ich kann mich an früher kaum erinnern, wirklich fast nur an eine schöne Zeit. Wenn dann solche Sachen passieren, wie das mit dem Foto und dem Kommentar, hab ich fast das Gefühl, dass ich den Schmerz der Kleinen in mir von damals nochmal erlebe.
Mittlerweile ist das nicht mehr ganz so arg.
Aber ich weiß noch als ich nach einer Gruppentherapie nach Hause vor und mir ein bestimmtes Ereignis einfiel. Ich glaube, ich hatte schon einmal darüber geschrieben. Als ich noch ein Kind war, Grundschule, glaube ich, hatte meine Cousine Geburtstag und einen Hamster mit Nachwuchs. Sie sagte mir, ich solle nicht in den Käfig fassen. Ich, dann plötzlich alleine… ich setzte mich stillschweigend an den Kaffeetisch, drückte die Wunde ab und versuchte nicht aufzufallen. Eine Stunde lang, dann hörte es endlich auf zu bluten. Ziemlich beschissene Lage, wenn man als Kind keinen Erwachsenen um sich hat, an den man sich wenden kann?
Es überraschte mich nach all den Jahren, dass ich nicht mal zu meinem Vater ging.
Mein Gott. Die, die Jesper Juul und dergleichen lesen, können sich das Ausmaß vielleicht ausmalen. Was für Nöte musste ich wohl durchleben?
Wow. Ich hab gerade echt das Gefühl, mich trifft der Hammer. Volle Kanne. „Ich bin falsch“, „ich bin nicht gut genug“. Ich weiß gerade nicht, was beschissener ist. Keinen Erwachsenen um sich zu haben, den man sich anvertrauen kann und den ein Kind nun wirklich absolut braucht oder solche Glaubenssätze eingeimpft zu bekommen.
Warum frag ich mich eigentlich noch, warum ich so eine Katastrophe (klingt jetzt sehr destruktiv, aber ich wollte jetzt nicht alle Probleme aufzählen, die ich so mit mir rumschleppe) bin?
Aber es ist wahr. Wenn man ein Kind bekommt, erhält man die Möglichkeit mit seiner eigenen Kindheit aufzuräumen. Die einen nehme diese Möglichkeit wahr, die andere nicht.
Ich bin traurig, Tränen laufen mir übers Gesicht. Mein Weg ist steinig. Ich will kein Mitleid, aber er ist echt verdammt steinig. Und ich bin mir sicher, dass da draußen genügend Menschen leben, denen es wohl auch so erging. Sie müssen nur tief genug graben und hinsehen.
Es ist nicht leicht. Aber es fällt mir schon viel leichter, mit meinen Eltern ins Gericht zu gehen. Das Blöde an der Sache ist, dass ich das, was andere mir eingebrockt haben, selber ausbaden muss. Oder viel mehr kann?
Scheiße. Sowas flasht mich immer wieder. Und wieder spüre ich, dass ich mit mir nachsichtiger sein darf. Es gibt so viel aufzuarbeiten. Das ist von heute auf morgen nicht möglich und vieles ergibt sich erst mit der Zeit.
Was mich aber immer wieder positiv stimmt, ist, dass es wirklich nie zu spät für eine wirklich schöne Kindheit ist. Mit jedem Mal, was ich unser Kind tröste und nicht sage „Du musst doch nicht weinen“ und damit seine Gefühle verleugne; mit jedem Mal, was ich geduldiger bin als meine Eltern es waren…. mit jedem Mal spüre ich das, was mir damals zugestanden hätte. Wirkliche Nähe. Die Liebe, die man spürt, wenn man so akzeptiert wird, wie man ist, egal, was man angestellt hat. Mit jedem Mal, scheint eine frühere Verletzung etwas zu heilen. Und dafür bin ich sehr dankbar.
Holt die Kindheit nach, die ihr gebraucht hättet.
Euer Kopfflüstern
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